Bemitleide dich mal nicht selbst
2021
Gewalterfahrungen in der Kindheit und Jugend werden moglicherweise psychisch so verarbeitet, dass das Gegenuber spater in einer spezifischen Weise auf die Betroffenen reagiert. Wir untersuchten dies anhand der Frage, ob sich Reaktionen (Assoziationen) auf Berichte an den Gutachter dahingehend unterscheiden, ob der Patient Gewalterfahrungen in der Kindheit oder Jugend in der Herkunftsfamilie gemacht hat oder nicht. Es wurden 22 pseudonymisierte Berichte an den Gutachter im Rahmen des Antragsverfahrens auf Kostenubernahme von Psychotherapie von zwei Untersucherinnen qualitativ analysiert. Die Analyse erfolgte uber die Qualitative Inhaltsanalyse nach Muhlfeld. Beim Vergleich der deduktiv entwickelten Kategoriensysteme konnten im Hinblick auf die Reaktionsmuster Parallelen, aber auch mehrere Differenzen zwischen den beiden Patientengruppen festgestellt werden. Als Reaktionsmuster auf Patienten mit Gewalterfahrung zeigten sich Sprachlosigkeit, Tod oder Sich-verstecken-Wollen, was sich so bei der anderen Gruppe nicht fand. Parallelen ergaben sich unter anderem bei Reaktionsmustern von Zartheit, Ekel oder Relativierung von Leid. Bei Berichten uber Patienten ohne Gewalterfahrung kam es zu einer groseren emotionalen Varianz in den Reaktionsmustern. Die gefundenen Reaktionsmuster stimmen nur teilweise mit Angaben der Literatur zu „typischen“ Gegenubertragungsreaktionen auf traumatisierte Patienten uberein. Die geringere emotionale Varianz gegenuber Berichten von Patienten mit Gewalterfahrungen konnte ein empirischer Beleg fur deren geringere Symbolisierungsfahigkeiten sein.
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