Zukunftsmodell Schweiz - eine Landwirtschaft ohne Gentechnik?

1999 
Wenn die Schweiz darauf verzichtet, genmanipulierte Pflanzen in die Umwelt freizusetzen, so ist dies vor allem auch eine grossartige Marktchance fur die Schweizer Landwirtschaft. Denn Gentech-food ist out, in ganz Europa. Die Schweiz konnte dann das liefern, was eine grose Mehrheit gerne mochte: naturnahe und gentechfreie Lebensmittel. Die Frage ist blos: Kann sich die Schweizer Landwirtschaft einen Verzicht auf Gentechnik leisten? Dieser Frage ist die Studie "Zukunftsmodell Schweiz - eine Landwirtschaft ohne Gentechnik?" nachgegangen. Untersucht wurden die sechs Kulturen Kartoffeln, Weizen, Mais, Raps, Salat und Reben. Gentechnische Losungsansatze und die wichtigen Anbauprobleme der Schweizer Landwirtschaft sind sehr oft nicht deckungsgleich. Die Bekampfung der problematischsten Schadlinge bei den einzelnen Kulturen steht kaum je auf der Forschungsagenda der Gentechnik. So steht bei der Herstellung transgener Pflanzen die Herbizidresistenz an oberster Stelle. In der Schweiz spielt aber bei den sechs untersuchten Kulturen die Unkrautproblematik nur gerade beim Mais eine grose Rolle. Fur viele Probleme der Schweizer Landwirtschaft – so etwa fur die Salatwurzellaus oder die Graufaule bei Reben, fur die wichtigsten Rapsschadlinge Rapserdfloh, Rapsglanzkafer, Rapsstengelrussler und Kohlschottengallmucke, bei Septoria- und Fusariosen-Schaderregern im Weizenbau, bei der Stengel- und Kolbenfaule im Maisbau oder bei den verschiedenen Mehltauerregern – bestehen keine oder erst vage gentechnische Ansatze. Im Biolandbau und im integrierten Landbau werden Anbauprobleme und Schadorganismen im Gegensatz zur Gentechnik meistens nicht als isolierte Einzelfaktoren bekampft. Losungsansatze bestehen aus einem umfassenden System vieler verschiedener Masnahmen. Dabei spielen die Vorsorge, die Ursachenbehebung, die Forderung von naturlichen Regulationsmechanismen und Nutzlingen eine zentrale Rolle. Zu diesen Losungs- und Forschungsansatzen gehoren unter anderem: gute Anbautechnik (z.B. standortgerechter Anbau, Regulierung des Bestandesklimas, vielseitige Fruchtfolgen, Anbaupausen, ausgewogene Dungung, Forderung der Bodenfruchtbarkeit und des krankheitsabwehrenden Potentials des Bodens mit Kompost), (traditionelle) Zuchtung resistenter Sorten (bei der auch genetische Diagnosemethoden Fortschritte bringen konnten), Einsatz von umweltvertraglichen Pestiziden und Antagonisten (das sind Rauber der Schadlinge; gegen den Maiszunsler sind zum Beispiel die Schlupfwespe Trichogramma, sowie Bacillus thuringiensis- oder Beauveria bassiana-Praparate bekannt). Prognose- und Fruhwarnsysteme versprechen weitere Fortschritte in der Regulierung von Schadorganismen: Kenntnisse uber die Biologie und Ausbreitung des Schadlings, die notigen klimatischen Parameter wie Temperatur, Niederschlag und Luftfeuchtigkeit werden in mathematische Modelle eingespeist. Daraus lasst sich das Infektionsrisiko errechnen, so dass moglichst wenig gespritzt werden muss. In der Schweiz wurden Prognose-Modelle fur den Rebbau, den Kernobstbau, den Getreidebau und den Kartoffelbau entwickelt. Sortenmischungen gehoren ebenfalls zu den praventiven Methoden, die in allen Anbausystemen angewendet werden. Die Mischung von verschiedenen Sorten kann insgesamt gegenuber Krankheitsbefall resistenter sein, da die Sorten unterschiedlich auf Schaderreger und Umweltbedingungen reagieren. Ein vermutlich groses Potential liegt in der induzierten Resistenz (Anregung der pflanzeneigenen Abwehrfahigkeit gegen Schaderreger), welche sich noch im Forschungsstadium befindet. Die Abwehrbereitschaft kann nicht nur durch durch einen Krankheitserreger ausgelost, sondern auch durch Substanzen induziert werden, die diesen Angriff nachahmen. Pflanzen konnen sich somit aktiv gegen Krankheitsbefall wehren. Typischerweise zeigt eine induzierte Pflanze Resistenz gegenuber einer Vielzahl von Pilzen, Bakterien und Viren. Gentechnische Methoden sind nicht nachhaltig. Sie zementieren eine problematische, auf Monokulturen basierende High-input-Landwirtschaft, welche die bekannten Umweltprobleme mitverursacht (Gewasserverschmutzung, Schadigung der Bodenfruchtbarkeit und Artenverlust). Die Freisetzung von gentechnischen Organismen birgt zudem viele unberechenbare und langfristige Risiken (Auskreuzung von transgenem Pollen, Resistenzdurchbruche, Schadigung von Nicht-Ziel-Organismen, Antibiotika-Resistenzen, unerwartete Positionseffekte, Allergien etc). Unter okonomischen und sozialen Kriterien der Nachhaltigkeit fallt ins Gewicht, dass gentechnisch veranderte Pflanzen patentiert werden konnen, konventionell gezuchtete Pflanzen hingegen nicht. Die durch ein Patent garantierten ausschliesslichen Monopolrechte konnen fur die betroffenen Landwirte und vor allem auch fur Lander des Sudens zu einer zunehmenden Abhangigkeit und einer Konzentrierung des Saatgut-Weltmarktes auf einige wenige transnationale Life-Science-Konzerne fuhren. Der Biolandbau erfullt die Forderung der Nachhaltigkeit am besten. Die okologischen Vorteile gegenuber dem konventionellen Landbau wurden mehrfach wissenschaftlich belegt (hohere Bodenfruchtbarkeit und Artenvielfalt, weniger Ruckstande). Auf der Ebene von Einzelbetrieben zeigen inzwischen mehrere Studien, dass der Biolandbau unter den derzeitigen Rahmenbedingungen eine gute betriebswirtschaftliche Alternative darstellt. Dank starker Diversifizierung der meisten Biobetriebe werden zusatzliche Arbeitsplatze geschaffen. Wie diese Studie aufzeigt, liegen trotz vergleichsweise sehr kleinen Mitteln in der Bioforschung fur die meisten Schlusselprobleme des Landbaus Losungen oder Losungsansatze vor. Die zahlreichen innovativen und interdisziplinaren Forschungsansatze deuten zudem auf ein hohes Problemlosungspotential hin. Eine konsequente Forschungsforderung konnte Potentiale erschliesen, die auch volkswirtschaftlich sehr lohnend sind: eine grose Chance fur die Landwirtschaft und fur den Forschungsplatz Schweiz.
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