Genrebilder? Traurige Liebesgeschichte? Zyklus?

1997 
Das, worin ich neu bin, worin ich Epoche mache in der deutschen Literatur, und mir keiner […] gleichkommt, ist meine Naturpoesie.1 Mit diesen vollmundigen Worten, sie gehoren zu den vergleichsweise sparlich uberlieferten poetologischen Auserungen des Dichters, beschreibt Nikolaus Lenau (1802–1850) 1839 seinen vermeintlichen Rang innerhalb der Literaturgeschichte. Man wird ihm insofern zustimmen, als er mit einigen Dutzend seiner Gedichte jedenfalls nicht als (Vers-)Epiker oder Dramatiker in die Anthologien eingegangen ist. Nach seinem fruhen Tod im Gefolge jahrelangen Dahinsiechens hinter den Mauern einer »psychiatrischen« Anstalt begann die Nachwelt, aus seinem Werk in immer neuen Auflagen bestimmte Gedichte zu re-edieren und zu rezitieren. Um die Jahrhundertwende, als binnen zweier Jahre Geburts- und Todestag runde Zahlen erreichten, feierte ihn ein durchaus emsiger Literatur- und Wissenschaftsbetrieb, Dutzende von Dissertationen entstanden, und von 1910 an wurde die grose, fur Jahrzehnte masgebliche Werkausgabe von Eduard Castle ediert. Bis etwa 1920, als sich mit Kriegsende und sozialpolitischem Wandel auch neue asthetische Werte und die Abkehr von der Einfuhlungsasthetik und nachromantischem Gedankengut einstellten, befanden sich Lenaus Leben und Werk in der Hand einer grosen akademischen Gemeinde und gerieten zum Gegenstand zahlreicher kunstlerischer Auseinandersetzungen.2 Neben diversen Einzelgedichten sind es besonders die funf »Schilflieder«, welche den Ruf des Lyrikers zu begrunden halfen und bis heute als stimmungsintensive Naturpoesie in Erinnerung geblieben sind.
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