Die Entwicklung des Konzepts der Einwilligung nach Aufklärung in der psychiatrischen Forschung

2019 
Das juristische Konzept der Einwilligung nach Aufklarung ist im Respekt vor dem Selbstbestimmungsrecht begrundet. Es entwickelte sich seit Ende des 19. Jahrhunderts, gewann mit der rapiden Ausweitung der klinischen Forschung seit Mitte des 20. Jahrhunderts mittels der Deklaration von Helsinki und seit 1972 in den USA als Konzept des informed consent erhebliche Bedeutung in der klinischen Forschung, nachfolgend auch in der klinischen Praxis. Die psychiatrische Forschung sties bald auf das grundlegende ethische Problem, dass psychische Krankheiten die Einwilligungsfahigkeit und damit die Voraussetzung jeder Forschungsteilnahme beeintrachtigen oder gar zerstoren konnen. Versuche der Losung dieses ethischen und juristischen Problems in den letzten 30 Jahren – von fruhen, durch das Konzept angestosenen Fragen uber die Entwicklung von Verfahren zur Feststellung der Einwilligungsfahigkeit bis zu aktuellen Vorschlagen fur Forschungs- bzw. Probandenverfugungen und Forschungsvollmachten – werden im Kontext ihrer gesellschaftlichen Resonanz wie auch der eigenen Erfahrung skizziert. Die Ubersicht soll die zunehmende Differenzierung des Konzepts verdeutlichen; sie folgt der Auseinandersetzung mit Problemen, die sich aus der Umsetzung und Wirksamkeit des Konzepts in der Forschungspraxis ergaben, um das Selbstbestimmungsrecht der Probanden zu bewahren. Als Schlussfolgerung ergibt sich 1. Das juristische Konzept der Einwilligung nach Aufklarung wurde erst durch die Entwicklung klinischer Kriterien zur Erfassung der Einwilligungsfahigkeit praktikabel; im Forschungskontext ist die Feststellung der Einwilligungsfahigkeit unverzichtbar, da von ihr die Gultigkeit der Einwilligung abhangt. 2. Zu erkennen ist ein langsamer Wandel von der Erfullung einer juristisch begrundeten Pflicht des forschenden Psychiaters, den potentiellen Forschungsteilnehmer nach Aufklarung um seine Einwilligung zu bitten, hin zu einer starkeren Patientenorientierung; sie anerkennt das Selbstbestimmungsrecht und bemuht sich, im Prozess der Aufklarung die Fahigkeit des Patienten zu optimieren, sich zu einer Forschungsteilnahme selbstbestimmt entscheiden zu konnen. Dabei wird die Einwilligungsfahigkeit anhand klinischer Kriterien bestimmbar. 3. Es wird bezweifelt, dass die jungsten legislativen Bemuhungen geeignet sind, die Selbstbestimmung bei Forschung ohne potentiellen individuellen Nutzen mit nicht-einwilligungsfahigen Probanden zu sichern; denn es ist fraglich, ob die vorverlegte, dann aber prinzipiell nur unspezifisch mogliche Aufklarung und die auf einen spater spezifisch aufgeklarten Vertreter verlagerte Entscheidung praktisch ausreichend realisiert werden konnen; ethisch enthalt diese kontroverse Einschrankung der Selbstbestimmung zumindest das Risiko, das Verhaltnis zwischen Individualwohl und Gemeinwohl zu Ungunsten des Individuums zu verschieben. Dadurch ware dann auch das mit der Respektierung des Selbstbestimmungsrechtes begrundete Konzept der Einwilligung nach Aufklarung infrage gestellt.
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