Aktualisierung der S3-Leitlinie „Diagnostik und Therapie des Mundhöhlenkarzinoms“: Was ist neu?

2021 
Die klinische S3-Leitlinie „Diagnostik und Therapie des Mundhohlenkarzinoms“ stellt seit ihrer Etablierung 2012 eine Handlungsgrundlage dar, um die bestmogliche Prognose und Lebensqualitat fur jede individuelle Befundkonstellation zu erreichen. Um dem stetigen Erkenntnisgewinn Rechnung zu tragen, ist nach dem Regelwerk der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) eine Aktualisierung der Leitlinie nach 5 Jahren erforderlich. Ziel dieser Aktualisierung ist es, Evidenz und Nutzen bestehender Empfehlungen zu uberprufen, aktuelle Anderungen der klinischen Praxis mit der grostmoglichen Evidenz zu bewerten und auf dem Boden wissenschaftlich gesicherter Erkenntnisse erreichte Fortschritte mit entsprechenden Empfehlungen in die Handlungsgrundlage der Leitlinie zu ubernehmen. Im November 2017 trat die Leitliniengruppe unter Federfuhrung der Deutschen Gesellschaft fur Mund‑, Kiefer- und Gesichtschirurgie (DGMKG) und mit Forderung im Rahmen des Leitlinienprogramms Onkologie erneut zusammen, um die Aktualisierung auf den Weg zu bringen. Zu von der Leitliniengruppe priorisierten Schlusselfragen erfolgte eine systematische Literaturrecherche, bei der relevante Studien mittels Titel‑/Abstract- sowie Volltext-Screening identifiziert, kritisch bewertet und in Evidenztabellen zusammengefasst wurden. Fur den Update-Prozess wurden Fragen zur Rolle des Wachterlymphknotens, zur Erweiterung der zervikalen Halslymphknotenausraumung („neck dissection“, ND) bei Lymphknotenbefall in Level IIb oder III, eines moglichen „Wait-and-see-Konzepts“ bei cT1/2-Karzinomen des Oberkiefers, eines neoadjuvanten Therapiekonzepts bei cT3/4 und zur Frage des Vorgehens bezuglich einer adjuvanten Radio(chemo)therapie bei pT1/2pN1-Situation einer systematischen Literaturrecherche unterzogen. Daruber hinaus wurden Fragen zur der Indikation der PET/CT, dem Einsatz der CAD/CAM-Technologie im Rahmen der knochernen Rekonstruktion sowie der Differenzialindikation fur die Panendoskopie und der Immuntherapie in Arbeitsgruppen gepruft. Alle bereits bestehenden Statements und Empfehlungen wurden primar auf Anderungsbedarf gepruft; geanderte und neue Statements und Empfehlungen wurden mittels formaler Konsensustechniken (nominaler Gruppenprozess, Konsensuskonferenz) uberpruft und abgestimmt. Es wurden 88 Statements oder Empfehlungen gepruft und bestatigt sowie 21 modifiziert oder ganzlich neu hinzugefugt. Die Indikation zur ND beim invasiven Mundhohlenkarzinom bleibt trotz neuer Studien hinsichtlich der Bildgebung und Sentinelbiopsie nach wie vor bestehen und kann nur bei sehr oberflachlichen cT1cN0-Karzinomen des Oberkiefers durch eine engmaschige Nachsorge ersetzt werden. Auch kann bei negativem FDG-PET-Befund nach primarer Radio(chemo)therapie auf eine Salvage-ND verzichtet werden. Eine Differenzialindikation zwischen modifiziert radikaler und supraomohyoidaler ND bei cN1-Befund ist aufgrund vorhandener Studien weiterhin nicht zu begrunden. Die Indikation zur adjuvanten Radio(chemo)therapie bei pN1-Befund ist optional. Die Anwendung eines Checkpoint-Inhibitors wird bei geeigneten Patienten anstelle des bisher favorisierten EXTREME-Schemas als Erstlinientherapie beim rezidivierenden oder metastasierenden Plattenepithelkarzinom der Mundhohle empfohlen. Die Schnittstellen von MKG, HNO, Strahlentherapie und Onkologie wurden bestatigt. Die neue TNM-Klassifikation und Einteilung der Tumorstadien wurden eingearbeitet. Zur prospektiven Erfassung der Haufigkeit von R1-Situationen bei kurativ intendierter Resektion wurde ein neuer Qualitatsindikator eingefuhrt. Der Qualitatsindikator zur Erfassung der pratherapeutischen HNO-Vorstellung konnte wegen der bereits erreichten konsequenten vollstandigen Umsetzung wegfallen. Durch ein strukturiertes, unabhangig von der Deutschen Krebsgesellschaft gefordertes Update-Verfahren wurde die bestehende Leitlinie nicht nur vollstandig aktualisiert, sondern besonders zu Fragen der multimodalen Therapie auch weiterentwickelt. Aufgrund einer fehlenden oder nicht ausreichenden Datenlage konnten allerdings zahlreiche Fragen nach wie vor lediglich auf dem Boden eines Expertenkonsenses beantwortet werden. Die konsequente Durchfuhrung prospektiver Therapiestudien ist zur zukunftigen Weiterentwicklung der Leitlinie daher zwingend erforderlich. Entscheidend fur den Behandlungserfolg bleibt die interdisziplinare Therapieplanung und -durchfuhrung unter Berucksichtigung der individuellen Befundkonstellation und des Patientenwunsches.
    • Correction
    • Source
    • Cite
    • Save
    • Machine Reading By IdeaReader
    39
    References
    0
    Citations
    NaN
    KQI
    []